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Über mein Praktikum in Tokyo 1997(Download als zip)
Im Sommersemester '97 hatte ich die Möglichkeit, ein Praktikum in Tokyo bei Hitachi Research Institute zu absolvieren. Ich saß dort neun Stunden täglich von Montag bis Freitag im Büro und erarbeitete u.a. einen Bericht über die Europäische Währungsunion im Jahre 2002. Es wurde mir gleich am Anfang gesagt, dass Überstunden nicht bezahlt werden, so dass es auch kein schlechtes Bild auf mich warf, dass ich nach Feierabend (17:20)das Büro verließ. Viele arbeiteten noch bis 22:00 oder später. In dieser Hinsicht bestätigt sich das verbreitete Klischee der ununterbrochen arbeitenden Japaner. Viele arbeiteten sogar am Wochenende im Büro, welches übrigens 24 Stunden, sieben Tage die Woche zugänglich war. Trotz fehlender Kenntnisse der Landessprache, konnte ich mich mit Englisch gut durch den Alltag schlagen. Man muss allerdings damit rechnen, dass man häufiger mal mit "Händen und Füßen" reden muss, um sich mitzuteilen, da viele Japaner die englische Sprache nicht beherrschen. Allerdings erwarten Japaner auch nicht, dass man ihre Sprache, geschweige denn die Schrift beherrschen. Sie sind immer hilfsbereit und versuchen, einen so gut es geht zu verstehen. Fehlende Sprachkenntnisse sollten also kein Hinderungsgrund für einen Aufenthalt in Japan sein. Es übt sogar einen Gewissen Reiz aus, ohne Sprachkenntnisse durch die Stadt zu gehen: Man muss in jedes Geschäft schauen, um zu wissen, was verkauft wird.
Eines sollte man allerdings üben, bevor man nach Japan fliegt: Das Essen mit Stäbchen. Es gibt in kaum einer Kantine oder Restaurant Messer und Gabel. Es ist übrigens gar nicht so schwer mit den Stäbchen zu essen. Nach einem Monat täglichem Gebrauch der Stäbchen ist man in der Lage, sogar einzelne Reiskörner mit dem Stäbchen aufzunehmen! Womit ich gleich beim nächsten Punkt, dem Essen, wäre:
Die Hauptspeise ist in Japan Reis, Reis und, ja, Reis. Und das morgens, mittags und abends. Das "Drumherum" variiert natürlich stark. Das Essen ist sehr gesund, was man schon an den schlanken Figuren der Japaner sehen kann. Übergewicht ist in Japan kein Problem (Außer natürlich bei den Sumo Kämpfern, die es logischerweise nicht als Problem ansehen). Man sollte mit dem Vorsatz nach Japan gehen, alles erst einmal zu probieren, bevor man ein Urteil fällt (Dieser Vorsatz bezieht sich nicht nur auf das Essen!). Roher Fisch (Sushi) schmeckt sehr gut! Das für Europäer vielleicht unüblichste Essen, das ich dort probiert habe, war Qualle. Trotz aller Offenheit meiner Seite aus, konnte ich diesem Gericht wenig positive Seiten abgewinnen... Ansonsten aber braucht man keine Angst zu haben, dass man in Japan "verhungert". Es gibt so viele Gerichte, deren Zutaten auch alle bei uns verwendet werden (vielleicht in anderen Kombinationen). Bei den Getränken gibt es so gut, wie keine Unterschiede. Klar: Es wird natürlich mehr Sake (Reiswein) getrunken. Zum Thema Alkohol ist zu sagen, dass die Japaner es lieben, nach der Arbeit mal einen "heben" zu gehen. Allerdings haben die meisten Japaner das Problem, dass ihrem Körper ein Enzym zu Alkoholabbau fehlt, so dass sie nach einer geringen Anzahl an alkoholischen Getränken schon mit einem hochroten Kopf am Tisch sitzen. Es kann dann auch mal passieren, dass einer für eine halbe Stunde am Tisch schläft, um sich dann wieder der Gesellschaft zu widmen! Das war für mich eine sehr lustige Erfahrung. Als Deutscher bekommt man natürlich bei jeder Familie erst einmal Bier angeboten und das reichlich! Das Bier schmeckt übrigens sehr gut.
Japan ist ein Land der Gegensätze: Es wird viel Wert auf alte Traditionen gelegt, z.B. das Tragen eines Kimonos an Feiertagen, aber man steht auch allen technischen Neuerungen offen gegenüber. Das Besitzen eines Handys ist zum Beispiel nicht mit einem negativen Ruf behaftet. Fast jedes Schulkind besitzt eines (neben einem Tamagotchi natürlich!). Tokyo hat mit Außenbezirken fast 30 mil. Einwohner. Das sind fast doppelt so viele, wie Australien Einwohner hat. Außerdem hat Tokyo mehr Telefonanschlüsse, als ganz Afrika! Dann gibt es in Tokyo riesige Hochhäuser neben winzigen Holzhäuschen, die den Anschein machen, nur bis zum nächsten Erdbeben gebaut worden zu sein. Es gibt dort das größte Kaufhaus der Welt mit siebzehn Stockwerken und 86000 qm Verkaufsfläche! Auf der anderen Seite gibt es allerdings auch Restaurants, die mit fünf Gästen schon voll belegt sind.
Ach ja, Erdbeben. Während meiner Zeit dort wurde ich Zeuge von drei spürbaren Erdbeben, die aber keinerlei Schäden verursachten, aber mir jedes Mal einen gehörigen Schreck einjagten. Meine japanische Kollegen hat dies meistens nicht gestört: Während es sich anfühlte, als ob jemand das Haus ein paar Mal hochhebt (immerhin 17 Stockwerke!) und mein Monitor schwankte, plauderten meine Kollegen seelenruhig am Telefon. Über Erdbeben spricht man auch nicht in Japan, man lebt damit. Jeder weiß, dass es in Tokyo irgendwann mal ein großes Beben geben wird, aber es wird kein Wort darüber verloren.
Es gibt auch eine große Anzahl an Verhaltensregeln, die von den Japanern peinlich beachtet werden, deren Kenntnis bei Ausländern allerdings nicht erwartet wird. Es wird auch niemals passieren, dass man von einem Japaner in seinem Verhalten korrigiert wird, es sei denn, sie sind so gravierend, wie Bundeskanzler Schröder es vormachte: Mit Schuhen die Tatami Matten im Haus zu betreten! Man sollte sich dennoch vor einem längeren Aufenthalt unbedingt die wichtigsten Verhaltensregeln in einem Buch einprägen, denn dann macht man bei den Japanern einen besonders guten Eindruck. Das beste Mittel ist jedoch die Beobachtung seiner Umwelt. Am Anfang wusste ich nicht so recht, ob ich mich verbeugen, oder die Hand geben sollte. Diese Entscheidung wurde mir aber meistens von den Japanern abgenommen, die mir bei einer Begrüßung ihre Hand entgegenstreckten. In dieser Beziehung sind Japaner im gewissen Sinne eingebildet: Sie glauben nicht, dass man sich als Ausländer wie ein Japaner verhalten kann, geschweige die Sprache kann. Es hat aber auch die positive Seite, dass sie über "Verhaltensfehler" hinwegsehen. Beim Händeschütteln sollte man als geübter Europäer etwas nachsichtig sein. Es kann passieren, dass Japaner einem ungewöhnlich lange, stark oder schwach die Hand geben. Man sollte mit einem Lächeln darüber hinwegsehen.
In Tokyo muss man sich von deutschen Preisen auf krasseste Weise verabschieden: Alles ist teurer dort. Die DM ist in Tokyo gerade mal 56 Pfennig wert. Ein paar Beispiele:
- 28qm Wohnung am Rande von Tokyo ca. DM 1600,- Kaltmiete im Monat
- Diskothekeneintritt ab DM 40,-
- Restaurantbesuch 2 Personen ca. DM 100,-
- 3 Stunden Zugfahrt ca. DM 300,-
- Dose Bier in der Bar ab DM 10,-
Diese Preise werden durch ein, für unsere Verhältnisse, sehr gutes Gehalt ausgeglichen. Man sollte trotzdem nicht denken, dass man von dem Gehalt, was man ev. bekommt, etwas sparen kann. Es reicht meistens nicht bis zu Ende des Monats. Deswegen empfiehlt sich eine Kreditkarte, mit der man vom deutschen Konto Geld abheben kann. Man sollte sich in Deutschland bei dem Kreditinstitut erkundigen, wo in der Nähe des Wohnortes geeignete Geldautomaten stehen (in Tokyo z.B. beim Tokyo-Dome), denn ausländische Kreditkarten nimmt dort kein normaler Geldautomat an und auch die Banken selber zahlen einem gegen Vorlage der Karte nichts aus! Am verbreitetsten ist die Visacard, gefolgt von der Mastercard. Allerdings kann man sie fast ausschließlich zum Geldabheben verwenden, da in Japan noch stärker als bei uns mit Bargeld gezahlt wird. Auch muss man aufpassen, dass man abends noch genug Geld hat, denn in Japan schließen auch die Geldautomaten während der Woche um sieben und am Wochenende um fünf. Danach gibt es nirgendwo mehr Geld bis morgens um neun. Da kann ein Samstag Abend doch sehr abrupt enden!
Wenn wir schon beim Schließen sind: Auch in der Weltstadt Tokyo fährt die letzte U-Bahn zwischen zwölf und ein Uhr nachts! Die ersten Bahnen fahren dann wieder um fünf Uhr morgens. Man darf allerdings nicht denken, dass man in der Zwischenzeit mit dem Taxi nach Hause fahren kann: Es gibt zwar haufenweise Taxen in Tokyo, aber der Zähler fängt bei ca. 10,- an (nachts teurer!) und da man meistens am Rand von Tokyo wohnt, würde man aus dem Zentrum gut eine Stunde Unterwegs sein und das ist bei einem Praktikantengehalt unbezahlbar! Der Taxi Fahrgast sollte immer wissen, wie der Taxifahrer fahren sollte, da sich die meisten Taxifahrer in Außenbezirken nicht auskennen. Am besten ist es, eine japanische Karte mit dem Zielort bei sich zu haben. Es kann sonst passieren, dass man vom Taxifahrer abgewiesen wird, oder er an einem Geschäft anhält und sich nach dem Weg erkundigt. Der Zähler läuft dabei natürlich weiter! Japanische Straßen besitzen keine Namen. Es ist nach Bezirken und Unterbezirken und dann nach Nummern "geordnet". Dabei ist es nicht so wie in Europa, daß die Hausnummern fortlaufend sind, sondern diese werden nach dem Erbauungszeitpunkt vergeben. Es kann also sein, daß die Nummer 1 neben Nummer 100 steht!
Ansonsten werden vor allen Dingen die deutschen Besucher von den liberalen Ladenöffnungszeiten verwöhnt. Haupteinkaufstag ist der Sonntag! Dort ist auch der Familienvater mal zu Hause und das Shoppen wird zum Familienausflug.
Noch ein Wort zu Image der Deutschen in Japan: Ich habe schon viele Länder kennengelernt, aber in keinem anderen Land haben die Deutschen einen so guten Ruf, wie in Japan. Zum Teil war es mir schon fast peinlich, da manche Japaner mehr über Deutschland zu wissen schienen, als ich! Man wird sehr interessiert aufgenommen und manchmal regelrecht über Deutschland ausgefragt. Ich war erstaunt, dass doch einige ein paar Wörter Deutsch konnten. Diese erklärt sich daraus, dass Juristen und Ärzte einen gewissen Zeitraum Deutsch als Fach beim Studium belegen müssen, da z.B. das Grundgesetz aus Deutschland übernommen wurde.
Ich möchte noch etwas über die Rolle der Frau in Japan sagen: Japan ist eine Männergesellschaft. Die Aufgabe der Frau ist es hauptsächlich für die Familie zu sorgen. Frauen bekommen z.T. 50 % weniger Gehalt, als die Männer mit dem gleichen Beruf. Außerdem ist in manchen Arbeitsverträgen festgehalten, dass die Frau nach der Heirat aus der Firma ausscheidet (da sie sich dann ja um die Familie zu kümmern hat). Es hat also nichts mit Unhöflichkeit zu tun, wenn im Restaurant der Mann zuerst das Essen bekommt und zum Schluss die Frau. So ist dort einmal die Gesellschaft. Es beginnt sich allerdings zu ändern: Die Scheidungsrate ist extrem hoch und die Geburtenzahlen sind rückläufig. Außerdem besitzen jetzt Frauen zu ca. gleichen Teilen wie die Männer ein Studium.
Zum Schluss noch ein paar Tipps:
- unbedingt Software von zu Hause aus mitnehmen! Word mit japanischen Menübefehlen gestaltet sich mehr zu einem Ratespiel!
- Gültigkeit des Reisepasses rechtzeitig kontrollieren; um in Japan arbeitet zu können, braucht man ein Visum, welches die Botschaft oder die Konsulate kostenlos ausstellen. (Stand: 1997)
- rechtzeitig die nötigen Unterlagen für ein Visum beschaffen! Eine Liste mit benötigten Unterlagen kann bei einem Konsulat angefordert werden.
- sich mit seiner Krankenversicherung in Verbindung setzen und sicherstellen, dass man auch im Ausland versichert ist (Arztbesuche in Japan sind teuer und werden bar bezahlt!)
- sich rechtzeitig (halbes Jahr) vorher gegen Hepatitis A und B impfen lassen
- wenn man im Sommer nach Tokyo fährt, sollte man möglichst luftige Kleidung mitnehmen. Es wird in Tokyo unheimlich heiß und schwül. (Eine dicke Jacke sollte man aber nicht vergessen, wenn man vorhat, den Mount Fuji [oder hier fälschlicherweise auch "Fujiyama"] zu besteigen. Auf dem Gipfel ist es empfindlich kalt! Handschuhe und Taschenlampe mitnehmen!)
- bevor man nach Tokyo fährt unbedingt sich Wissen aus Büchern aneignen (wie oben schon gesagt z.B. über Verhaltensregeln)
- der Yen-Kurs ist in Deutschland günstiger, als in Japan. Es empfiehlt sich also, schon in Deutschland etwas Geld umzutauschen
- PAL Videokassetten für die mitgebrachte Videokamera kann man in Tokyo nur in wenigen Geschäften kaufen (z.B. bei LLAOX), da dort das amerikanisch Videosystem NTSC verwendet wird, welches zum europäischen System nicht kompatibel ist.
- Elektrogeräte (z.B. Videokameras), die man aus Deutschland mitbringt, sollte man beim deutschen Zoll vor der Reise registrieren lassen. Man erhält eine schriftliche Bestätigung mit den Seriennummern der Geräte, dass diese auch wirklich aus Deutschland stammen. Ansonsten kann es passieren, dass der japanische Zoll bei der Ausreise Probleme macht. (Reine Vorsichtsmaßnahme. Bei mir hat der Zoll keine Schwierigkeiten gemacht)
Jetzt bleibt mir nur noch einen schönen und interessanten Aufenthalt zu wünschen. Es lohnt sich auf jeden Fall (schon alleine bei McDonalds mit Verbeugung empfangen zu werden!).
Ich kann leider keine Praktikumsstellen vermitteln!!!
© Jan-Olaf v. Schlabrendorf